Am 25. September 1905 öffnete die neue Städtische Badeanstalt ihre Pforten. In drei Jahren Bauzeit war eine der modernsten und teuersten Schwimmhallen Deutschlands entstanden.
Eine Frauenschwimmhalle, je eine Männerschwimmhalle 1. und 2. Klasse, 40 Wannenbäder sowie Räume für Massage, Dampf- und Heißluftbäder offerierten den Hannoveranern einen bis dahin noch nicht erlebten Luxus. Durch den Haupteingang betrat man eine über zwei Etagen reichende Vorhalle, rechts und links schlossen sich das Männerschwimmbad 1. Klasse und das Frauenbad an. In den wohltemperierten, mit Fußbodenheizung ausgestatteten Hallen waren die Becken mit warmem Wasser gefüllt und bei Hitze sprühte feiner Wassernebel von den Decken. Ein Hundebad in den Kellerräumen rundete das Reinigungsangebot ab. Und hinter allem stand eine Technik, die Heizung, Lüftung, Reinigung und Beleuchtung auf modernstem Standard regelte.
Die Geschichte der „Gose“, wie die Hannoveraner bald sagten, eröffnet einen Blick in die Sozialgeschichte der Stadt. So wurden nach dem I. Weltkrieg Soldaten ins Schwimmbad beordert, um sich in der dort eingerichteten Militär- Entlausungsanstalt behandeln zu lassen. In der Weimarer Republik gerieten tradierte Rollen ins Wanken und 1927 wurde der Versuch unternommen, die Geschlechtertrennung mit einem „Familienbadetag“ aufzubrechen. Doch schon bald wurde beklagt, dass die Anzahl der badenden Männer die der Frauen bei weitem übersteige. Unter den Nationalsozialisten wurde 1936 das Männerschwimmbad 1 wettkampfgerecht umgebaut. Zugleich arbeitete man jedoch darauf hin, einen Teil der hannoverschen Bürger aus dem Leben im Schwimmbad zu verdrängen: Ab 1937 war es Juden verboten, die Räume der Städtischen Badeanstalt zu betreten.
1943 beschädigten Luftangriffe das Schwimmbad erheblich. Nach Kriegsende hieß es: „Alle packen an!“ Mit der Eröffnung des nur teilweise zerstörten Frauenbades begann ab 1947 der 10 Jahre währende Wiederaufbau. Mit jedem Bauabschnitt wurde ein neuer Schritt in eine optimistische Zukunft gemacht. Die 1950 fertig gestellte Eingangshalle präsentierte eine farbige Leichtigkeit mit Wandfresken, zierlicher Möblierung und einer Milchbar. Am deutlichsten wird die Intention der Planer in der Halle 3. Obwohl sie nur geringfügig beschädigt worden war, wurde sie ganz neu erbaut. Ab 1956 konnten die hannoverschen Schulkinder in einer Halle schwimmen, die Licht durchflutet, offen und farbig war. 1958 trennte man sich schließlich von den Resten der alten Jugendstilhalle und gestaltete die Halle 2 ganz neu.
Sportvereine, Familien, Jugendliche und vor allen Schulen nutzten die neuen Hallen im Herzen der Stadt. Viele Hannoveraner berichten: „Hier habe ich schwimmen gelernt!“ Das sitzt fest im kollektiven Gedächtnis der Stadt. Seit den 1970er-Jahren aber zogen das neue Stadionbad und die modernen Stadtteilschwimmbäder die Jugend an. In der Goseriede verblieben die Senioren und die Pflichtveranstaltungen des Schulunterrichts. Das Bad wurde unrentabel und 1982 trotz starker Proteste geschlossen. Es hatte sich gewandelt vom hoffnungsvollen Symbol des Aufbruchs zu einem altmodischen Relikt der Nachkriegszeit.
Eine heftige, kontroverse Diskussion begann. Am virulentesten offenbarte sich ein Generationskonflikt, denn die Hauptprotagonisten der Bürgerinitiative „Rettet das Goseriedebad“ waren Vertreter der Aufbaugeneration. Sie warfen den Jüngeren vor, mit der Schließung des Bades das Aufbauwerk zerstört zu haben; ja, im Verlust des dort vorhandenen Warmbades sahen sie einen direkten Angriff auf ihren durch harte Arbeit geschundenen Körper. Dagegen standen neue Ideen: Spielstätte der Landesbühne oder ein Veranstaltungs- und Kulturzentrum „Bunte Welt“ und viele mehr. Keine wurde verwirklicht.
Doch längst waren die leeren Hallen wieder mit Leben gefüllt. Es wurden Feste gefeiert, Filme gedreht und Fotos gemacht. Zerstört wurde wenig, aber viel an den Wänden gemalt. Eine neue Generation hatte das Bad für sich entdeckt. So entstand unter der Ägide der „kestnergesellschaft Hannover“ in den Jahren 1989-1997 aus dem Schwimmbad ein Kunst- und Medienhaus. Die Schwimmbecken der Hallen 1 und 2 wurden mit einer Betondecke verschlossen, die Halle 3 an der Stiftstraße und die Wirtschaftsgebäude abgerissen. Als 1997 die „kestnergesellschaft“ die Öffentlichkeit in ihr neues Ausstellungshaus lud, war die Reaktion eindeutig: Aus dem alten Goseriedebad war Deutschlands schönstes Ausstellungshaus geworden.
Irmela Wilckens, Mitarbeiterin der Sparkasse Hannover, studierte Geschichte und Volkskunde. 2005 konzipierte sie in der „kestnergesellschaft“ die Ausstellung „100 Jahre Goseriedebad“.
Der Text erschien bereits als Artikel in der Reihe „hannover historisch“ im hannoverschen Magazin „STADTKIND“ in Ausgabe 01/2016. Die Wiederveröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des STADTKIND-Magazins. Diese Kolumne wird betreut von Prof. Dr. Carl-Hans Hauptmeyer.