Es war das Ende einer mehr als sieben Jahrhunderte dauernden Ära welfischer Herrschaft in Hannover: Am 29. Juni 1866, vor nun bald 160 Jahren, musste die Armee König Georgs V., zwei Tage nach einem siegreichen Gefecht gegen ein zahlenmäßig unterlegenes preußisches Armeekorps, die Waffen strecken und die Kapitulation erklären.
Die Erschöpfung der Truppe, der Mangel an Ausrüstung, Verpflegung und Munition, vor allem aber die drohende Umzingelung durch heranrückende preußische Verstärkungen ließen dem König und der Armeeführung keine andere Wahl, wenn man weiteres Blutvergießen vermeiden wollte. Wie hatte es überhaupt dazu kommen können, dass sich erstmals seit langer Zeit wieder zwei benachbarte deutsche Staaten feindlich gegenüber standen und ihre Konflikte mit der Waffe austrugen?
Seit mehreren Jahren war der 1815 gegründete Deutsche Bund in eine Krise geraten, für die vor allem die Rivalität der beiden Großmächte Österreich und Preußen verantwortlich war. Der preußische Ministerpräsident Bismarck drängte auf eine Reform, die Habsburg aus dem Bund ausschließen und Preußen die alleinige Vormachtstellung sichern sollte. Er verband das mit dem Angebot, ein frei gewähltes deutsches Parlament zu schaffen, und gewann dadurch die Zustimmung großer Teile auch der hannoverschen Bevölkerung. König Georg V. war jedoch ein erbitterter Gegner der Reform. Er wollte am „monarchischen Prinzip“ festhalten und seine Souveränität weder durch preußische Machtgelüste noch durch demokratische und liberale Tendenzen, wie sie die Nationalliberalen unter Rudolf von Bennigsen propagierten, beeinträchtigen lassen.
Sein Welfenstolz und seine Fehleinschätzung des politischen Gewichts Hannovers führten dazu, dass er nach längerem Schwanken ein Bündnis mit Preußen ablehnte, das ihm den Oberbefehl über seine Armee genommen hätte. In der Zuspitzung der Bundeskrise klammerte er sich an den Glauben, vom Bundesrecht gedeckt zu sein, stimmte der Mobilisierung des Bundesheers gegen Preußen zu und gab Bismarck damit den willkommenen Anlass, Hannover den Krieg zu erklären. Die hannoversche Armee war darauf nur ungenügend vorbereitet. Als preußische Verbände, die schon an den Grenzen bereitstanden, in wenigen Tagen das Land besetzten, zog sie sich in den Raum um Göttingen zurück und machte sich von dort aus auf den Weg nach Süden, in der Hoffnung, sich mit den hessischen und bayerischen Korps vereinigen zu können. Der Plan misslang; bereits nach anderthalb Wochen beendete die Kapitulation von Langensalza den Krieg. König Georg musste nach der österreichischen Niederlage bei Königgrätz alle Hoffnung auf eine Wende aufgeben; er verbrachte seine letzten Lebensjahre im Exil in Wien und Gmunden am Traunsee und hat seine hannoversche Heimat nie wiedergesehen.
Hannover wurde der preußischen Militärverwaltung unterstellt. Am 3. Oktober 1866 verfügte ein Annexionspatent König Wilhelms I. die Eingliederung in den preußischen Staat, dem das einstige welfische Stammland bis zum Aufgehen im Land Niedersachsen im Jahr 1946 angehörte. Es dauerte aber geraume Zeit, bis sich die politische Situation beruhigt hatte. Zwei Lager standen sich gegenüber: diejenigen, die das Aufgehen im preußischen Staat begrüßt oder um der deutschen Einigung willen zumindest hingenommen hatten, und die anderen, die aus ihrer Anhänglichkeit an das welfische Fürstenhaus, aus Abneigung gegen Preußen oder aus der Empörung über Bismarcks offensichtliche Gewaltpolitik keinen Hehl machten. In den ersten Wahlen zum Deutschen Reichstag erreichte ihre politische Vertretung, die Deutsch-Hannoversche Partei, immerhin Stimmenanteile um die 40 %. Erst nach der Gründung des Deutschen Reichs 1871 flaute die „welfische Bewegung“, wie sie auch genannt wurde, allmählich ab. Das Gedenken an die Schlacht von Langensalza aber, bei der allein auf hannoverscher Seite 378 Tote und 1501 Verwundete zu beklagen waren, wurde in Hannover weiter gepflegt – bis es durch zwei noch viel blutigere Weltkriege in den Hintergrund gedrängt wurde.
Dieter Brosius
DR. DIETER BROSIUS war von 1989 bis 2001 Direktor des Niedersächsischen Hauptstaatsarchivs Hannover (jetzt Niedersächsisches Landesarchiv, Abteilung Hannover).
Der Text erschien bereits als Artikel in der Reihe „hannover historisch“ im hannoverschen Magazin „STADTKIND“ in Ausgabe 06/2016. Die Wiederveröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des STADTKIND-Magazins. Diese Kolumne wird betreut von Prof. Dr. Carl-Hans Hauptmeyer.