Die heimliche Hauptstadt des Jazz

Seit knapp 60 Jahren bringt der Jazz Club Hannover den Swing in die Stadt

Hannover hat in der internationalen Jazzszene einen guten Klang. Berühmtheiten wie Lionel Hampton oder Monty Sunshine verkündeten der Welt, dass Hannover ein Zuhause für Musiker sei und komponierten Liebeserklärungen für die „Jazzhochburg“ an der Leine. Denn in Hannover, so heißt es, befindet sich einer der renommiertesten Jazz Clubs Europas. Ein Club, den New Orleans zum Ehrenbürger erklärte, mit dem sich städtische Werbebroschüren schmücken und der ein bedeutender Bestandteil der Bewerbung Hannovers als „UNESCO City of Music“ war. Im Jahr 2026 feiert der Jazz Club sein 60-jähriges Jubiläum.

Als sich im Jahr 1966 eine Handvoll Jazzbegeisterter traf, um den Jazz Club Hannover ins Leben zu rufen, war dies der Beginn einer Erfolgsstory für die Stadt – und zugleich ein Revival. Tatsächlich konnten die Hannoveraner auf bedeutende Jazzereignisse zurückblicken. Nicht in den vor Vitalität flirrenden Metropolen Deutschlands, sondern in der fälschlich oft als grau und spießig belächelten Leinestadt gastierte in den 1920er Jahren, als der Jazz über den Atlantik schwappte, die erste amerikanische Band. Und nach dem Ende der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft war es wiederum Hannover, wo nicht nur inmitten von Kriegstrümmern der erste Jazz Club neu gegründet, sondern zugleich das erste bedeutsame Nachkriegskonzert organisiert wurde. Gute Kontakte zu den Hot Clubs in Paris und Berlin verhalfen Hannover in jenen Jahren zu Gastspielen von Duke Ellington oder Louis Armstrong. Allerdings konnte sich die lokale Jazzszene damals noch nicht wie erhofft etablieren.

Der ansteigenden Beat- und Popwelle zum Trotz erinnerten sich Mitte der 1960er Jahre einige dem Jazz treu gebliebene Musiker an den ehemaligen Jazzkeller im Jugendheim am Lindener Berge und wagten mit der Gründung des Jazz Clubs Hannover am 25. April 1966 einen Neustart. Hier sollte ein Zentrum für junge, jazzinteressierte Menschen geschaffen werden. Die ersten Bands traten zunächst für ein Glas Bier auf, denn die gesamte Arbeit der Clubmitglieder verlief von Beginn an auf rein ehrenamtlicher Basis. Doch schon kurz nach der Gründung lockte die Kunde von Gastspielen führender Jazzmusiker nicht selten so viele Fans nach Linden, dass der Club wegen Gefahr der Überfüllung geschlossen werden musste. Mehrmals zwang der anhaltende Besucherandrang zu umfassenden Erweiterungen des Jazzkellers, in dessen Zuge er schließlich auch sein charakteristisches Merkmal, die orange Wandfarbe, erhalten sollte. Mit steigender Besucherzahl füllte sich die Clubkasse und internationale Größen des Jazz wie Lou Bennett, Lionel Hampton, Ella Fitzgerald, Miles Davis oder die Legends of Jazz konnten zu Konzerten verpflichtet werden.

Während die Hannoveraner von den ersten Veranstaltungen im Lindener Keller noch per Flüsterpropaganda erfuhren, wurde schon bald die hannoversche Presse auf die „heiße Musik im kühlen Keller“ aufmerksam. Das mediale Interesse richtete sich nicht allein auf die prominenten Gastspiele, sondern auch auf den langjährigen Vorsitzenden Mike Gehrke, der seit 1968 den Club erfolgreich leitete. Gehrke, der bald den Beinamen „Mr. Jazz“ führte, war seit den frühen 1970er Jahren hauptamtlich als städtischer Imagepfleger mit der Rettung von Hannovers Ruf beschäftigt und verstand es, den Jazz in seine zahlreichen Projekte einfließen zu lassen. Durch sein Talent, weltweit Botschafter für den Jazz Club zu finden, trug er entscheidend zur Popularisierung des Jazz innerhalb und außerhalb Hannovers bei.

Von besonderer Bedeutung für den Jazz Club und die Stadt gleichermaßen, waren wiederkehrende Events wie die Jazztage oder das Freiluftkonzert „Swinging Hannover“, die trotz eingeschränkter Möglichkeiten des kleinen Clubs zu festen Institutionen wurden und jährlich zehntausende Zuhörer lockten. Mit den finanziellen Mitteln der Berliner oder Frankfurter Jazzfestivals konnte die Leinemetropole zwar nicht mithalten, dennoch kam beinahe jeder, der sich im Jazz einen Namen machte, nach Hannover. Viele der Künstler hatten ihre Karriere sogar einst hier begonnen, denn mit seiner ausgeprägten Nachwuchsförderung nahm der hannoversche Club schnell eine Sonderstellung in der Jazzszene ein.

Doch es gab auch schwierige Zeiten am Lindener Berge. Obwohl die Arbeit der Clubmitglieder als Bereicherung für das städtische Kulturprogramm wahrgenommen wurde, fehlte es oft an finanzieller Unterstützung. Nicht immer konnten Zuschüsse aus der lokalen Wirtschaft die populären Großveranstaltungen oder Projekte wie das geplante Jazzmuseum zur Expo retten. Fast 40 Jahre lang galt Mike Gehrke als die Seele des Clubs. Als er im Sommer 2004 überraschend verstarb, hinterließ er ein großes Erbe, das ein Team aus erfahrenen Clubmitgliedern übernahm. Es gelang der neuen Clubführung, an dessen Spitze mit Bernd Strauch und Thomas Hermann für rund 15 Jahre jeweils der 1. Bürgermeister der Stadt stand, den Club zu stabilisieren und erfolgreich fortzuführen. Seit August 2020 wird der hannoversche Jazz Club von Vanessa Erstmann und damit erstmals in der langen Geschichte des Clubs von einer Frau geleitet. Bis heute prägt der Club – und das seit nunmehr fast 60 Jahren – fortwährend den Ruf Hannovers als heimliche Hauptstadt des Jazz… and keeps swinging!

Dr. Vanessa Erstmann
Die Historikerin schrieb eine Dissertation zum Image der Stadt Hannover, ist als freiberufliche Redakteurin tätig und unterstützt Unternehmen bei der Aufarbeitung und Präsentation ihrer Geschichte.

Der Text erschien bereits als Artikel in der Reihe „hannover historisch“ im hannoverschen Magazin „STADTKIND“ in Ausgabe 04/2016. Die Wiederveröffentlichung einer leicht aktualisierten Fassung des Artikels erfolgt mit freundlicher Genehmigung des STADTKIND-Magazins. Diese Kolumne wird betreut von Prof. Dr. Carl-Hans Hauptmeyer.

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