Gottfried Wilhelm Leibniz

Universalgenie und Wahl-Hannoveraner

Gottfried Wilhelm Leibniz, am 1. Juli 1646 in Leipzig geboren, gilt heute als der letzte große Universalgelehrte. Nach dem Jurastudium und der Promotion zum Doktor beider Rechte (Zivil- und Kirchenrecht) stand er zunächst im Dienst des Kurfürsten von Mainz. Von 1676 bis zu seinem Tode lebte er in Hannover, wo er am Welfenhof unter den Herzögen bzw. Kurfürsten Johann Friedrich, Ernst August und Georg Ludwig als Jurist, Bibliothekar, Historiograph und Diplomat die Stellung eines Hofrats, später Geheimen Hofrats innehatte.

Aus: Stadtkind 11/2016

Kurfürst Georg Ludwig, der spätere König Georg I. von Großbritannien und Irland, bezeichnete ihn als eine “lebende Enzyklopädie”. In der Tat kann man sagen, dass Leibniz auf Grund seiner eigenen natur- und geisteswissenschaftlichen Studien und durch seine Kontakte zu allen bedeutenden Wissenschaftlern das gesamte Wissen der frühen Aufklärungszeit in seiner Person vereinte, aber nicht nur das: Die Entwicklung seiner Vier-Spezies-Rechenmaschine, die technischen Neuerungen im Bergbau, die von ihm entwickelte Infinitesimalrechnung, sein binäres Zahlensystem, die Gründung einer wissenschaftlichen Akademie, sein – wenn auch vergebliches – Bemühen um eine Wiedervereinigung der christlichen Konfessionen gelten heute als bleibende herausragende Leistungen in der abendländischen Kultur-, Geistes- und Wissenschaftsgeschichte.

Seit 1680 beschäftigte sich Leibniz zunehmend mit philosophischen Fragen: nach Sinn und Ursache für das Böse in der Welt (Theodiceé, d.h. die Rechtfertigung Gottes) und nach der letzten geistigen Elementen der Wirklichkeit (Monadenlehre). Die Überzeugung, dass Gott die beste aller möglichen Welten und damit von vornherein ein harmonisches Ganzes geschaffen habe (prästabilierte Harmonie), zeichnen Leibniz als einen Geist aus, der gerade in dieser Welt Potential zur Vervollkommnung sah und dabei immer wieder an das selbstverantwortliche Entscheiden und Handeln eines jeden Einzelnen appellierte.

Vierzig Jahre lang – unterbrochen von einigen längeren Reisen – lebte und wirkte Leibniz in seiner Wahlheimatstadt Hannover, zu der er ein zwiespältiges Verhältnis entwickelte: Auf der einen Seite vermisste er hier den intellektuellen Austausch, auf der anderen Seite bot ihm die Stellung am Hof eine gesicherte finanzielle Basis für seine zahlreichen Aktivitäten. Bekannt und vielzitiert ist sein Stoßseufzer über Hannover an seinen Korrespondenzpartner, den schottischen Advokaten Thomas Burnett of Kemney:

„Alles, was mich körperlich und geistig einengt kommt daher, daß ich nicht in einer großen Stadt wie Paris oder London lebe, welche an gelehrten Männern Überfluß haben, von denen man lernen und von denen man sich helfen lassen kann. […] Doch hier [in Hannover] trifft man kaum jemanden, mit dem man sich unterhalten kann oder man gilt vielmehr in diesem Lande für keinen guten Hofmann, wenn man über wissenschaftliche Themen spricht. Ohne die Frau Kurfürstin würde man noch weniger darüber reden können.“[1]


[1] Müller, Kurt / Krönert, Gisela (Bearb.): Leben und Werk von G. W. Leibniz. Eine Chronik. Frankfurt a.M. 1969, S. 139.

Den Mangel an wissenschaftlichen Diskussionen konnte Leibniz ausgleichen, indem er ein weitgespanntes Korrespondentennetz aufbaute und mit über 1.400 Briefpartnern in Kontakt stand. Zustande gekommen ist auf diese Weise einer der größten Gelehrtennachlässe weltweit, der sich heute in der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek Hannover befindet und der im Jahre 2007 zum Weltdokumentenerbe erklärt wurde.

Gottfried Wilhelm Leibniz starb am 14. November 1716 im Haus in der Schmiedestraße 10 in Hannover. Sein letzter Mitarbeiter Johann Georg Eckardt sorgte für die angemessene Beisetzung in der Neustädter Hof- und Stadtkirche, an der jedoch trotz Einladung niemand vom kurfürstlichen Hof teilnahm, auch niemand von der Berliner Sozietät der Wissenschaften, deren Präsident Leibniz gewesen war.
Und dennoch: Nirgendwo gibt es heute einen Ort, der dem gebürtigen Leipziger Leibniz näher steht als Hannover – und umgekehrt.

Dr. Annette von Boetticher

DR. ANNETTE VON BOETTICHER ist Historikerin und Autorin zum Wirken und Verständnis von Leibniz.

Der Text erschien bereits als Artikel in der Reihe „hannover historisch“ im hannoverschen Magazin „STADTKIND“ in Ausgabe 11/2016. Die Wiederveröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des STADTKIND-Magazins. Diese Kolumne wird betreut von Prof. Dr. Carl-Hans Hauptmeyer.