Der Eingangsbereich des Opernhauses
Das hannoversche Opernhaus steht so selbstverständlich direkt neben dem auch über Hannover hinaus bekannten Kröpcke, dass man es häufig einfach als festen Bestandteil der Stadtmitte hinnimmt und sich nur selten vergegenwärtigt, welch bewegte Geschichte das Haus erlebt hat. Noch weniger ist man sich dessen gewahr, dass die vier großen Epochen der Bau- (und Zerstörungs-) Geschichte des Opernhauses bereits im für jeden zugänglichen Eingangsbereich wunderbar ablesbar sind.
Die Geschichte des Opernhauses beginnt 1828, als Hofarchitekt und Hofbaurat Georg Ludwig Friedrich Laves (1788-1864) erste Ideen und Entwürfe für ein eigenes, freistehendes königliches Hoftheater entwickelte. Auch wenn die ersten Entwürfe nicht verwirklicht wurden, war es 1844 wiederum Laves, der das heute vorhandene Haus plante. Mit den Bauvorbereitungen auf der ehemaligen Windmühlenbastion wurde im Mai 1845 begonnen, bis 1848 war der Rohbau fertiggestellt, die Eindeckung des Daches mit Kupfer erfolgte im Sommer 1849. Vom August 1850 stammt die große Freitreppe, die vom Opernplatz in den Eingangsbereich führt. Eröffnet wurde das neue Hoftheater am 1. September 1852; der 2.650 Plätze umfassende Zuschauerraum war zu dieser Zeit der größte in Europa. Es handelt sich beim Opernhaus um eines der Hauptwerke im breiten Oeuvre von Laves. Das Gebäude ist ein spätklassizistischer, aus mehreren Kuben zusammengesetzter Bau, die Hauptfassade zur Georgstraße gerichtet.
Wenn man den Eingangsbereich, der sich aus der ehemaligen Vorfahrt, dem dahinter liegenden ehemaligen Vestibül und den beiden seitlichen Kassenbereichen (ehem. Treppenhaus) zusammensetzt, betritt, kann man aus dieser ersten Phase des königlichen Hoftheaters zunächst die ehemalige, kreuzgratüberwölbte Vorfahrt (heute verglast) wahrnehmen. Hier fuhren Kutschen oder später Autos vor, damit die gut gekleideten Gäste wettergeschützt direkt vor dem Hauptportal aussteigen konnten. Die drei hölzernen Eingangstüren befanden sich zu diesem Zeitpunkt im Anschluss an die Treppen zum Vestibül. Die Grundgestaltung des Vestibüls stammt ebenfalls noch aus der Erbauungszeit: es handelt sich um eine dreischiffige, fünfjochige Halle, wobei das mittlere Schiff breiter ist als die äußeren, wodurch unterschiedliche Joche entstehen. Noch von Laves stammen die gusseisernen Säulen dieses Raumes: es handelt sich dabei um die acht freistehenden, mittleren schlanken Säulen, die früher farbig angelegt waren, heute jedoch weiß gefasst sind, und die das ebenfalls aus der Erbauungszeit stammende Gewölbe aus Backsteinen tragen. Jeder sei aufgefordert, einmal vorsichtig gegen eine der Säulen zu klopfen, um sich zu vergewissern, dass es sich hierbei tatsächlich um metallene Bauelemente handelt. Dies ist für die Bauzeit 1844 durchaus als etwas sehr modernes anzusehen! Ursprünglich befanden sich seitlich des Vestibüls die beiden Treppenaufgänge ins Obergeschoss (heute „Lavesfoyer“).
Am 26. Juli 1943 wurde das seit 1921 als „Städtisches Opernhaus“ geführte Gebäude von Brandbomben getroffen und im Innenraum fast vollständig zerstört, während die Außenmauern und insbesondere auch der Eingangsbereich größtenteils erhalten blieben. Erste Aufbaupläne gab es bereits seit 1945; der Architekt, der nach einem breit angelegten Wettbewerb 1949 offiziell mit dem Wiederaufbau beauftragt wurde, war Werner Kallmorgen (1902-1979) aus Hamburg. Er ging behutsam mit dem Denkmal und insbesondere mit den erhaltenen Resten im Eingangsbereich um. Aus der Bauphase 1950/51 stammen die Glaselemente der Vorfahrt, auch die figürlichen Griffe der Türen von Bildhauer Kurt Lehmann (1905-2000) sowie die seitlich der von der ehemaligen Vorfahrt ins Vestibül führenden Treppen liegenden, plastisch gestalteten Heizungsgitter. Die alten Lavesschen Backsteingewölbe des Vestibüls beließ Kallmorgen steinsichtig, die z.T. angeschlagenen Kapitelle roh, die darunter liegenden Säulen wurden weiß gefasst. Zunächst wurde auch die Lage der Treppen seitlich des Vestibüls beibehalten.
Während der weiteren Bauabschnitte des Wiederaufbaus unter Kallmorgen wurde zwischen 1958 und 1960 die Tiefgarage unter dem Opernhaus angelegt. Im Zuge dieser Maßnahme wurden erneut Änderungen im Eingangsbereich vorgenommen, insbesondere ist hier die Verlegung der Treppen an das hintere Foyer zu nennen: Damit waren die beiden Räume seitlich des Vestibüls von Einbauten freigeräumt; hier wurden nun erste Kassenhäuschen untergebracht und die beiden äußeren Mauerpfeiler der ehemaligen Vorfahrt wurden für die Aufgänge aus den Tiefgaragen umgebaut. Der dunkle Naturstein-Fußboden der beiden seitlichen Räume ist ebenso ein erhaltenes Zeugnis dieser Umbauphase um 1960 wie auch die zwischen den drei mittleren Durchgängen zwischen ehemaliger Vorfahrt und Vestibül liegenden Treppen, die gegenüber den ursprünglichen Treppen in die Vorfahrt vorgezogen wurden; das schmale Stahlgeländer entstammt ebenfalls dieser Bauphase.
Anlass zu einer erneuten Überarbeitung Anfang der achtziger Jahre war zunächst der von Kallmorgen rund gestaltete Zuschauerraum, der den Ansprüchen der musikbegeisterten Hannoveraner nicht mehr genügte. Aus diesem Grund wurde Dieter Oesterlen (1911-1994) damit beauftragt, einen neuen Zuschauerraum zu gestalten: Es entstand 1984/85 der heutige, ovale Raum. Auch wenn die erneute Umgestaltung des Eingangsbereichs zunächst gar nicht Bestandteil der Aufgabe war, machte Oesterlen diesbezüglich ab September 1984 verschiedene Vorschläge zu einer Neufassung. Durchsetzen konnte er seine Ideen vor allem im ehemaligen Vestibül. So stammen die weißgefassten Gurtbögen, die erneuerten und nun ebenfalls weiß gefassten Kapitelle und die massiven Nischengitter aus dieser Zeitphase sowie außerdem der Fußboden. Der noch aus der Laveszeit herrührende farbige Terrazzobelag, der in seinen Formen Bezug nahm auf die verschiedenen Säulen und Pfeiler des Vestibüls, wurde 1985 weitgehend durch einen grauen Basaltboden ersetzt. Lediglich an den Rändern und in den Nischen ist der ursprüngliche Belag erhalten. Zudem überarbeitete Oesterlen die beiden seitlichen Kassenhäuschen und brachte sie in ihre lange dominierende (und sicher allen Hannoveranern noch gegenwärtige) Form, die ab 2016 dann erneut überarbeitet und modernisiert wurde. Dennoch besteht nach wie vor die Gelegenheit, sich die geschichtsträchtigen Räume im hannoverschen Opernhaus als lebendiges Beispiel für ablesbare Zeitschichten wieder einmal anzuschauen.
Birte Rogacki-Thiemann
BIRTE ROGACKI-THIEMANN hatte lange ein Büro für Historische Bauforschung in Hannover und begutachtet Gebäude, wie u.a. das Foyer des Opernhauses und arbeitet mittlerweile für das Niedersächsische Landesamt für Denkmapflege.
Der Text erschien bereits als Artikel in der Reihe „hannover historisch“ im hannoverschen Magazin „STADTKIND“ in Ausgabe 07/2016. Die Wiederveröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des STADTKIND-Magazins. Diese Kolumne wird betreut von Prof. Dr. Carl-Hans Hauptmeyer.