Der Fliegerhorst Wunstorf
Größter Arbeitgeber der Stadt, bedeutender Wirtschaftsfaktor und wichtigstes Ausbauprojekt der Bundeswehr – das ist die eine Sicht auf den Fliegerhorst Wunstorf. Die andere verbindet ihn mit der NS-Zeit, mit der Zerstörung der baskischen Stadt Gernika und mit Luftangriffen auf polnische oder englische Städte im Zweiten Weltkrieg.
Dabei hätte es fast keinen Fliegerhorst Wunstorf gegeben, sondern einen Fliegerhorst Burgdorf. Auch hier waren die Luftwaffenplaner fündig geworden, als im Zuge der Aufrüstungspolitik des NS-Regimes ein Standort nahe Hannovers gesucht wurde. Die Landwirte des Dorfes Sorgensen, in dessen Gemarkung die Rollbahnen und Hallen angelegt worden wären, fürchteten schon die Enteignung ihrer Äcker. Doch dann gab es Entwarnung: Man hatte sich für ein Terrain zwischen Großenheidorn, Klein Heidorn und Blumenau-Liethe entschieden, alles heutige Wunstorfer Ortsteile.
Noch im Geheimen – denn der Aufbau einer Luftwaffe war dem Deutschen Reich durch den Versailler Vertrag verboten – begann 1934 die Errichtung des Fliegerhorsts Wunstorf. Nun waren es vor allem Klein Heidorner Bauern, die ihre Flächen abgeben mussten. Ein Teil des Geländes warim 19. Jahrhundert schon einmal militärisch genutzt worden, als Schießplatz der in Wunstorf stationierten Batterien des Feldartillerie-Regiments Scharnhorst (dessen Namengeber aus dem nahen Bordenau stammte). Nachdem die Nazis 1935 die Wehrhoheit des Deutschen Reiches proklamiert hatten, wurde der weitere Aufbau des Horstes ganz offen betrieben, und am 2. April 1936 konnte der neue Fliegerhorst mit Pauken und Trompeten und abendlichem Tanz offiziell eingeweiht werden. Viele Wunstorfer Handwerksbetriebe hatten an seinem Bau und an der Errichtung von Offiziers-Wohnhäusern in der Stadt mitgewirkt – und -verdient. Wunstorf sah sich als „aufstrebende Stadt“, in der Lokalzeitung hieß es stolz „Wunstorf begrüßt seine Flieger“.
Ein Jahr später war eine Reihe von ihnen dabei, als Gernika in Schutt und Asche gelegt und Hunderte von Einwohnern getötet wurden: Die „Legion Condor“ hatte in den Spanischen Bürgerkrieg eingegriffen und verhalf den Truppen des späteren Diktators Franco zum Sieg über die Republik. Im Zweiten Weltkrieg waren Luftwaffeneinheiten aus Wunstorf an allen Fronten eingesetzt. Der Fliegerhorst wurde im Verlauf des Krieges jedoch wenig angegriffen und fiel am Ende den Alliierten weitgehend unzerstört in die Hände. Der Grund für die Schonung war die Planung der Briten, die den Horst in der Nachkriegszeit für ihre Royal Air Force nutzten.
Während der Berlin-Blockade wurden auch von Wunstorf aus hunderttausende Tonnen Lebensmittel nach Westberlin geflogen, bis die Sowjetunion nach fast elf Monaten im Mai 1949 die Blockade aufgab; über die „Luftbrücke“ erklomm der Westen einen Sieg im Kalten Krieg. In den folgenden Jahren wurden in Wunstorf zwei Siedlungen für englische Soldaten errichtet, die wegen ihrer Bauweise „Klein London“ und „Groß London“ genannt wurden und noch heute die Wunstorfer Oststadt prägen. Nach der Aufstellung der Bundeswehr wurden 1958 die Einheiten der Royal Air Force auf dem Horst durch solche der Bundesluftwaffe abgelöst. Zwanzig Jahre lang bildete hier die „Flugzeugführerschule S“ Piloten aus, anschließend wurde das Lufttransportgeschwader LTG 62 hier stationiert. Die regionale Bevölkerung lernte den Fliegerhorst bei Tagen der offenen Tür kennen oder bei einem der jährlichen Auto- und Motorradrennen des ADAC, die allerdings 1998 wegen der Lärm- und Umweltbelastung eingestellt werden mussten. Zudem lockt seit 1989 in der „JU-52-Halle“ ein Flugzeugmuseum Besucher an.
Seit 1969 war die Transall auf dem Fliegerhorst Wunstorf stationiert, rund ein halbes Jahrhundert das Transportflugzeug der Bundeswehr. Ursprünglich war ihr Einsatz bis Mitte der 1990er-Jahre geplant, doch nach Umrüstung und Modernisierung behielt man sie vorerst. Grund dafür war ihre Zuverlässigkeit. Allerdings geschah am 11. Mai 1990 ein schweres Unglück, als eine Transall vom Fliegerhorst Wunstorf mit neun Soldaten und einem Zivilisten an Bord bei schlechten Wetterverhältnissen im Spessart gegen eine Bergkuppe prallte. Keiner der Männer an Bord überlebte. Glücklicher verliefen dagegen Transportflüge von Hilfsgütern während der Balkan-Kriege, obwohl mehrfach Transalls unter Beschuss gerieten.
Nach der Wiedervereinigung war die Weiterexistenz des Standorts zeitweilig in Frage gestellt; das LTG 62 sollte in den Osten verlegt werden, auch weil der Fliegerhorst Wunstorf den Flughafen Langenhagen behinderte. Mit der Entscheidung des Verteidigungsministeriums, den neuen Lufttransporter A400M in Wunstorf zu stationieren, wurde der Fliegerhorst zum größten Ausbauprojekt der Bundeswehr. Knapp 600 Millionen Euro wurden hier verbaut. Schließlich sollen hier alle 50 A400M der Bundesluftwaffe stationiert werden und Wunstorf Ausbildungszentrum für Piloten, Besatzungen und Techniker des neuen Transportflugzeugs sein. Zudem errichtet die Firma Airbus ein Wartungszentrum, dessen Fertigstellung für 2027 erwartet wird. 400 Menschen werden dann hier arbeiten.
Der Fliegerhorst Wunstorf und das LTG 62 stehen immer wieder auch überregional und international im Fokus, sei es beim NATO-Manöver “Air Defender” im Jahre 2023 oder anlässlich der Evakuierung deutscher Staatsbürger aus Afghanistan 2021. Angesichts sich häufender internationaler Krisen werden solche Evakuierungs- und andere Einsätze zumindest auf kurze Sicht eher zunehmen.
2017 wurde vor dem Presse- und Besucherzentrum des Fliegerhorsts ein Gedenkstein für die Opfer von Gernika aufgestellt. Seinen Zweck erfüllt er, wenn er gleichzeitig Mahnung für die Zukunft ist.
Klaus Fesche
KLAUS FESCHE ist Historiker und seit 2005 Wunstorfer Stadtarchivar.
Der Text erschien bereits als Artikel in der Reihe „hannover historisch“ im hannoverschen Magazin „STADTKIND“ in Ausgabe 05/2016. Die Wiederveröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des STADTKIND-Magazins. Diese Kolumne wird betreut von Prof. Dr. Carl-Hans Hauptmeyer.