“Als die Royals aus Hannover kamen” feiern wir in diesem Jahr mit Ausstellungen. Vorträgen und Publikationen. Mit wem ich auch spreche, ein neues Selbstbewusstsein macht sich unter den Hannoveranern breit, ein Dresden· oder Münchengefühl. Als Großbritannien zur Weltmacht aufstieg, kamen die Könige aus “unserem” Welfenhaus, das ist doch fast wie: “Wir sind Weltmeister”.
Im Vorjahr war das noch anders, ganz bürgerlich. Unser Neues Rathaus war 100 Jahre alt geworden. Es gab zwar einen kurzen Fesrtakt, etliche Vorträge und ein gutes Buch über jenen Neubau, auf den wir stolz sind, der äußerlich aber eher dem 16./17. Jahrhundert zu entstammen scheint. Wenn der zeitgenössische Spott “Wilhelminische Prachtkommode” zitiert wurde, waren wir nicht verärgert, sondern freuten uns auf das fröhliche Juni-Fest auf dem Trammplatz mit seinen optischen und musikalischen Höhepunkten. Hannoveraner lieben offenbar ihr Rathaus. Gäste werden mit dem Schrägaufzug zur Gondel geführt. Die Stadtmodelle vor dem Treppenaufgang werden mit Stolz und Trauer zugleich gezeigt. Das Rathaus ist ein Ort moderner Demokratie. nur in den ersten fünf Jahren und in der NS-Zeit war das anders.
Wie die kleine, 1913 die Stadt beherrschende Bürgergruppe — konservativ, aber durchaus selbstbewusst — zur Monarchie stand, zeigt der “Geschichtsfries” am Neuen Rathaus. Wer ihn nicht kennt, stellt sich am besten auf den Trammplatz und schaut auf den Eingang. Über diesem erhebt sich auf vier Säulen ein kupfergrün eingedeckter Baldachin. Von don aus erstreckt sich nach links und rechts der “Geschichtsfries”. Ein Fernglas hilft, ihn im Detail anzusehen. Rasch ist zu entdecken, dass rechts vom Eingang eine Tafel frei ist: dort sollte Kaiser Wilhelm verewigt werden. Sodann
fällt auf, dass viele Darstellungen von bürgerlicher Freiheit und städtischem Stolz handeln. Weit links wird gezeigt, wie hannoversche Bürger 1241 vom Welfenherzog Otto eine wichtige Stadtrechtsurkunde erhalten. Sie stehen recht erhobenen Hauptes vor dem Herzog. Auch, mehr zur Mitte, als Hannover 1636 Residenzstadt wurde, deuten die Stadtväter nur eine leichte Verneigung an, als Herzog Georg den Residenzvertrag unterschreibt.
Und die Personalunion? Immmerhin: Kurfürstin Sophie, der die englische Krone hätte zufallen sollen, setzt unseren Universalgelehrten Leibniz einen Lorbeerkranz auf (rechts vom Eingang). Dann 1837, die Personalunion war zu Ende. König Ernst August hält Einzug in Hannover. Symbolisch wird ihm der Stadtschlüssel überreicht. Ungebeugt schauen Stadtdirektor Rumann und weitere Honratioren den König an (links vom Eingang). Die
Realität aber: alle Befürchtungen wurden war. Ernst August gab den Schlüssel nicht zurück, hob vielmehr umgehend das relativ liberale Staatsgrundgesetz auf. Sieben Göttinger Professoren protestierten dagegen und erhielten Berufsverbote. Auch auf Rumann warteten schwere Zeiten.
Nun sollte der Geschichtsfries nicht überinterpretiet werden. Doch die Personalunion fehlt. Sie war fur die Entwicklung der Stadt relativ unwichtig. Bedeutungsvoll war, dass die Stadt 1636 Residenz wurde. Denn die niederächsischen Binnenstädte stagnierten fortan alle. Ausnahme waren die wichtigen maritimen Handelsstädte, voran Hamburg, oder aber die Residenzen. Trotz vieler neuer Forschungen zur Personalunion: für die Stadt und für das Kurfürstentum, ab 1814 Königreich Hannover, hatte sie nur geringe Bedeutung. Auch blieben die hannoverschen Nachfahren der englischen Könige nicht lange auf dem Thron. 1866 annektierte Preußen das Königreich Hannover. Aus dem .Geschichtsfries könnten wir lernen: Schön. dass wir in diesem Jahr die Royals feiern! Aber dann sollten wir wieder bürgerlich werden.
Carl-Hans Hauptmeyer
Prof. Dr. CARL-HANS HAUPTMEYER
ist emeritierter Professor für Regionalgeschichte an der Leibniz Universität Hannover und u.a. Autor eines Buches über die Geschichte des Calenberger Landes.
Der Text erschien bereits als Artikel in der Reihe „hannover historisch“ im hannoverschen Magazin „STADTKIND“ in Ausgabe 09/2014, S. 44. Die Wiederveröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des STADTKIND-Magazins.
Beitragsbild: Geschichtsfries am Neuen Rathaus Hannover, 1837, Ernst August wird nach dem Ende der Personalunion mit England von Stadtdirektor Rumann in Hannover empfangen. Bildhauer August Waterbeck. Foto: Bernd Schwabe, Hannover