Calenberg im Jahr 1654 als Kupferstich von Caspar Merian.

Wer oder was ist Calenberg?

Es wird wieder über Calenberg gesprochen. Das haben wir der vortrefllichen Landesausstellung “Als die Royals aus Hannover kamen” zu verdanken. Wir erinnern uns an die Calenberger Straße in Hannover und manche Namensgebung mehr. Neuerdings führen regionale Vermarkter von Nahrungsmitteln Calenberg im Namen. So dann bezeichnen sich manche Menschen aus der Gegend zwischen Neustadt am Rübenberge bis Pattensen als Calenberger, und es gibt sogar Leute aus dem Raum Göttingen, die sagen, sie hätten dem alten Fürstentum Calenberg angehört.

Aber, wer weiß dies: ohne Calenberg keine Residenzstadt und dann Landeshauptstadt Hannover, ohne Calenberg keine hannoverschen Könige auf dem englischen Thron und ohne Calenberg auch keine Marienburg. Und DEN Calenberg gibt es wirklich, doch er ist in einem miserablen Zustand. Wo liegt er? Östlich von Schulenburg, nordwestlich von Rössing. Was ist oder war er? Er ist heute eine von Wald überwachsene Wallruine. Zeitweilig aber war er die vielleicht größte Niederungsburg Nordwestdeutschlands. Warum geriet der Calenberg in Vergessenheit? Weil er seit über 300 Jahren nicht mehr genutzt wird. Schließlich: wie konnte der Name Calenberg mit dem Land zwischen Deister und Leine verbunden werden und gar mit Südniedersachsen? Dazu müssen wir bis in das 12. Jahrhundert zurückblicken.

Heinrich der Löwe aus dem Hause der Welfen war ab 1142 Herzog von Sachsen und herrschte über weite Teile Nordwestdeutschlands. Doch Heinrich überwarf sich mit dem deutschen Kaiser Friedrich, genannt Barbarossa, und wurde 1180 entmachtet. Die Welfen durften nur ihr unmittelbares Eigentum, das sich um Braunschweig und Lüneburg konzentrierte, behalten, ab 1235 wieder als Herzogtum. Ihren Einfluss im Raum Hannover aber hatten sie verloren. Hier machten sich nun Grafen breit, und der Hildesheimer Bischof erweiterte sein Siedlungsgebiet bis vor die Tore von Hannover.

Es war eine Zeit stetig zunehmenden Warenhandels: von Süd nach Nord durch das Leinetal, von Ost nach West nördlich des Mittelgebirges. Der Raum Hannover wurde wirtschaftlich und politisch interessant. Wenn also am Ende des 13. Jahrhunderts ein welfischer Herzog auf die Idee kam, im Leinetal, zwischen Schulenburg und Rössing dem Hildesheimer Bischof einen befestigten Platz gleichsam vor die Nase zu bauen, war das eine kluge Idee, um in diesem Gebiet Fuß zu fassen. Von dieser Burg aus gelang es den Welfen, Schritt für Schritt die Grafen zu entmachten, Gerichtsrechte zu erwerben und vor allem die damit verbundenen bäuerlichen Hand- und Spanndienste zu erlangen.

Was sich mit der Burg Calenberg als neuer Herrschaftsmittelpunkt andeutete, wurde 1495 politische Wirklichkeit. Bei einer der welfischen Erbteilungen entschied Erich I., dass er das Land zwischen Deister und Leine erhalten wolle, was er nun so benennen konnte, wie die Herrschaftsrechte mittlerweile zusammengetragen worden waren, nämlich als Amtsbezirk Calenberg, das eigentliche Calenberger Land. Da er zugleich auch in Südniedersachsen territoriale Hoheit erhielt, war der Begriff Calenberg auf beide Gebiet übertragbar: Fürstentum Calenberg.

Erich I. und sein Sohn ließen die Burg an der Leine zu einer mächtigen Festung ausbauen, die auch Angriffen starker Artillerie standhielt und Platz für einen Schlossbau bot. Selbst Tilly wäre im Dreißigjährigen Krieg an der Festung erfolglos geblieben; hätte nicht die die Burgmannschaft gemeutert. Ein Merianstich von 1654 zeigt, ein wenig geschönt, die Festung auf ihrem Höhepunkt.

Calenberg im Jahr 1654 als Kupferstich von Caspar Merian. Feste und Amt Calenberg im Jahr 1654 als Kupferstich von Caspar Merian.

Im 17. Jahrhundert jedoch war die Zeit der einzeln liegenden Burgen vorbei. Ein damaliger Herrscher hatte im Schloss einer befestigten Residenzstadt Hof zu halten. Als Herzog Georg 1635 das Fürstentum Calenberg übernahm, bevorzugte er Hannover als Hauptstadt. Nach und nach verfiel die Burg Calenberg. Heute sind die Gebäude bis auf Reste abgetragen. Die mächtigen Wälle und Schanzen, die unsere bäuerlichen Vorfahren errichten mussten, sind aber noch weitgehend vorhanden. Immerhin wurden die Nachfahren Herzog Georgs 1714 englische Könige. Und weil die Welfen um den Calenberg ihren Stammbesitz hatten, konnte in unmittelbarer Nähe König Georg V. von Hannover ab 1857 die Marienburg errichten lassen.

Es gibt übrigens eine neue Initiative, die Wallruine Alt-Calenberg wieder ihrer historischen Bedeutung gemäß zu würdigen.

Carl-Hans Hauptmeyer

Prof. Dr. CARL-HANS HAUPTMEYER
ist emeritierter Professor für Regionalgeschichte an der Leibniz Universität Hannover und u.a. Autor eines Buches über die Geschichte des Calenberger Landes.

Der Text erschien bereits als Artikel in der Reihe „hannover historisch“ im hannoverschen Magazin „STADTKIND“ in Ausgabe 10/2014, S. 48. Die Wiederveröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des STADTKIND-Magazins.