Der Marktbrunnen in der Calenberger Neustadt

Die wichtigste Voraussetzung für die Existenz jeder Ansiedlung war und ist die Versorgung mit Wasser. Aber Wasser ist nicht nur das Lebensmittel schlechthin, es hat auch repräsentative und gestaltende Funktion. Ganz besonders galt dies in der Zeit des Absolutismus, als auch die Natur dem Willen des Herrschers untergeordnet werden sollte. Dass die Verbindung von Funktionalität und Repräsentati-on ihre Tücken hatte, zeigt das Beispiel des Brunnens auf dem Neustädter Markt.

1635 erhielt Herzog Georg zu Braunschweig und Lüneburg in einem mit seinen beiden Brüdern geschlossenen Teilungsver-trag das Fürstentum Calenberg zugesprochen. Im Jahr darauf bestimmte der Herzog Hannover zu seiner Residenzstadt. Auf der gegenüberliegenden westlichen Seite Hannovers standen damals nur wenige Häuschen. Diesen Ort ließ der Herzog in den folgenden Jahrzehnten zur Calenberger Neustadt ausbauen und mit einer zeitgemäßen Befestigungsanlage schützen, die auch die Altstadt umschloss. Ganz im Sinne absolutistischer Herrschaft sollte auf der linken Leineseite eine planmäßig angelegte und gut bewehrte Ansiedlung mit repräsentativen Bauten entstehen. Das Vorhaben konnte jedoch nur sehr eingeschränkt verwirklicht werden.

Am 16. Mai 1668 schloss der Unternehmer Johann Duve einen Vertrag mit Herzog Johann Friedrich und verpflichtete sich, die Neustadt mit Wasser zu versorgen. Als Gegenleistung erhielt Duve – zeitlich befristet – die Abgabenfreiheit für seine dortigen Häuser. Der Vertrag sah explizit die Errichtung eines ständig laufenden Springbrunnens auf dem Neustädter Markt vor, der repräsentativen Charakter haben sollte. Duve ließ eine etwa 1,4 Kilometer lange Rohrleitung von einer Quelle am Lindener Berg anlegen, die den besagten Hauptbrunnen auf dem Marktplatz und sieben Notbrunnen in verschiedenen Straßen versorgen sollte.

Der illuminierte Neustädter Markt mit dem Parnaßbrunnen. Kupferstich von de Klyher, 1727. Quelle: Niedersächsische Landesbibliothek
Der illuminierte Neustädter Markt mit dem Parnaßbrunnen. Kupferstich von de Klyher, 1727. Quelle: Niedersächsische Landesbibliothek

Der Marktbrunnen der Calenberger Neustadt wurde um 1670 nach einem Entwurf des italienischen Baumeisters Hieronymo Sartorio erbaut. Er bestand aus einer erhöhten Plattform, umgeben von Balustraden, auf deren Pfeilern 20 Standbilder die Tugenden und Laster verkörperten. In der Mitte befand sich ein Brunnenbecken, aus dem der Felsenberg des Parnaß aufragte. Dieser hatte vier rundbogige Grottennischen, in denen vier lebensgroße Allegorien der Erdteile Europa, Afrika, Asien und Amerika standen. Auf dem Parnaß befanden sich Apoll mit neun Musen, den oberen Abschluss der Anlage bildete ein Pegasus, der das herzogliche Wappen hielt. Wasser strömte aus dem Berg, aus den Instrumenten der Musen und aus den Ohren des Pferdes.

Alles hätte so schön sein können, doch die Anlage funktionierte niemals richtig. Außer der diffizilen Gestaltung des Äußeren muss auch das Röhrenwerk des Parnaßbrunnens recht filigran und daher anfällig gewesen sein. Die Leitungen froren im Winter oft ein, generell waren die Bleiröhren zu klein. Eine größere Reparatur erfolgte 1737. Sie blieb aber ohne Erfolg, denn eine Aktennotiz aus dem Jahr 1739 besagt, die Anlage sei schon längere Zeit außer Betrieb. Im Jahr 1802 brach man den Brunnen schließlich ab und ersetzte ihn durch eine Brunnensäule und einen „Kump“, einen einfachen Wasserbehälter aus Sandstein.

Nach 1824 ließ der Magistrat der nun vereinigten Alt- und Neustadt Hannover die städtische Wasserversorgung planmäßig ausbauen. Die von Duve angelegte Quellwasserleitung bestand zwar bis 1895, versorgte zuletzt aber nur noch wenige Grundstücke. 1896 erwarb der Magistrat der Stadt Linden das Quellgrundstück. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die zunehmende Bebauung im Zuge der Entwicklung Lindens zum Industrieort durch die damit einhergehende Flächenversiegelung zum Austrocknen des Wasservorkommens führte.

Auf dem Neustädter Marktplatz wurde 1915 der Duve-Brunnen aufgestellt, ge-schaffen von dem in Linden geborenen Bildhauer Georg Herting. 1953 fand der Brunnen seinen Platz am Leibnizufer, wo er noch heute sprudelt.

Dr. Olaf Grohmann

DR. OLAF GROHMANN
ist freiberuflich tätiger Historiker und Vorsitzender des Netzwerks Industriekultur im mittleren Niedersachsen e.V. Die monatliche Kolumne „hannover-historisch“ wird betreut von Prof Dr. Carl-Hans Hauptmeyer.

Der Text erschien bereits als Artikel in der Reihe „hannover historisch“ im hannoverschen Magazin „STADTKIND“ in Ausgabe 09/2015, S. 26. Die Wiederveröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des STADTKIND-Magazins.