Eine Akte im Niedersächsischen Landesarchiv – Abteilung Hannover (NLA HA HANN. 87 NR. 256) über ein Todesurteil wegen dreifachen Mordes.
Als im Januar 1919 in Berlin der Spartakusaufstand auf Befehl Friedrich Eberts von Freikorps unter der Führung von Gustav Noske niedergeschlagen wurde, herrschte in der Provinzhauptstadt Hannover schon seit Langem Ruhe und Ordnung. Dort hatten sich am 6. November 1918 Matrosen aus Wilhelmshaven und Kiel erfolgreich ihrer Festnahme widersetzt, die Bahnhofswache entwaffnet, unter der roten Fahne das Militärgefängnis gestürmt, Gefangene befreit und Offiziere gefangen genommen. Der nationalistische Journalist des Hannoverschen Kuriers Karl Anlauf berichtet im April 1919, dass über 1.000 Mann unter der Parole „Hoch die Revolution! Nieder mit der Monarchie!“ durch die Stadt gezogen waren.
Am nächsten Tag war der nationalliberale Stadtdirektor Tramm geflohen und hatten die Soldaten mit lokalen MSPD-Funktionären einen vorläufigen Arbeiter- und Soldatenrat (ASR) gebildet. Gegen dessen auf Vermeidung revolutionärer Entwicklungen bedachter Maßnahmenkatalog bildete sich ein oppositioneller Soldatenrat, der radikaldemokratische Forderungen nach Kieler Vorbild formulierte. Diese wurden zwar größtenteils in einen Kompromiss übernommen, letztlich tastete der ASR die militärischen und politischen Machtstrukturen aber nicht an, nutzte vielmehr die Gunst der Stunde und integrierte sich in Schlüsselpositionen in die bestehenden lokalen Verhältnisse. Den Abschluss bildete die Wahl des Landtagsabgeordneten und ASR-Vorsitzenden Leinert zum Oberbürgermeister am 13. November. Zugleich beschränkte der ASR seine Zuständigkeit selbst am 15. November auf die Demobilisierung des Militärs des X. Armeekorps und gab sukzessive seine Kontrollfunktion gegenüber den Behörden auf.
Vielleicht diente die Verhaftung zweier Vertreter des oppositionellen Soldatenrats wegen angeblicher Unterschlagung und Erpressung und die schnelle Errichtung eines ASR-Gerichts am 12. November der Ausschaltung unerwünschter politischer Konkurrenz. Als tatkräftige Ordnungsmacht positionierte sich der ASR aber mit dem Schnellverfahren gegen den Vizefeldwebel Oskar Lünsmann.
Dieser hatte am 9. November als Führer der „Fliegenden Division Bremen“ Gefangene aus dem Celler Zuchthaus befreit und war am 10. November mit 120 Mann in Hannover angekommen. Hier übernahm er im Auftrag des ASR Wach- und Patrouillendienste und ließ am Morgen des 12. November drei Personen u.a. wegen Plünderei erschießen. Das Gericht des ASR verurteilte Lünsmann am 16. November wegen dreifachen Mordes zum Tod und ließ das Urteil sofort vollstrecken.
In der Akte sind „Die letz(t)en Aussagen des Vizefeldwebels Lünzmann“ wiedergegebenen und werden hier samt Foto des Verurteilten abgebildet: „Ich habe weiter keinen Wunsch. Grüßt meine Frau und mein Töchterchen, sie soll für mein Töchterchen sorgen. Ich habe als freier Mensch draußen gekämpft, möchte auch als freier Mensch sterben. Lebt wohl, Kameraden! Hoch lebe die soziale Revolution.“

Der Text erschien bereits im Januar 2019 unter dem Titel „Keine Revolution in Hannover – sanfte Übernahme durch den Arbeiter und Soldatenrat (1919)“ in der Serie „Aus den Magazinen des Landesarchivs“: (https://nla.niedersachsen.de/startseite/landesgeschichte/aus_den_magazinen_des_landesarchivs/2019/aus-den-magazinen-des-landesarchivs-januar-2019-172157.html)
Die Wiederveröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Niedersächsischen Landesarchivs.
Die Kolumne „Hannover historisch“ wird betreut von Prof. Dr. Carl-Hans Hauptmeyer.