„Sie hat nicht nur Können, sondern auch Persönlichkeit einzusetzen“ – Yvonne Georgi (1903–1975), Tänzerin und Choreographin in Hannover
„… wenn ich an dich denke, sehe ich dich als eine sehr junge faszinierende Tänzerin, die aber in ihrer Art schon eine Meisterin war, ihren Stil, ihre Schule, ihren Ausdruckswillen auf ein junges Ensemble übertrug.“ (Carl Zuckmayer)
Die Rede ist von Yvonne Georgi, die als Solotänzerin Karriere machte und mit 23 Jahren als Choreographin an den Städtischen Bühnen Hannover engagiert wurde. Eine klassische Ballettausbildung hatte sie nicht vorzuweisen. Worin lag ihre Meisterschaft?
Die Bewegung an der frischen Luft, Sonnenbäder und Sport in bequemer Kleidung galten in der Gesellschaft des Kaiserreichs besonders für Frauen als Verstoß gegen Sitte und Anstand. Die Befreiung des Körpers vom Korsett und der Füße vom Spitzenschuh bedeutete einen gesellschaftlichen Um- und Aufbruch. In allen größeren Städten boten „Köperbildungsinstitute“ neue Ausbildungskonzepte an, die von rhythmischer Gymnastik bis zum freien Tanz reichten. Aber längst nicht allen jungen Frauen standen sie als berufliche Perspektive offen.
Notgedrungen absolvierte Yvonne Georgi eine Ausbildung zur Bibliothekarin. Als Tochter eines angesehenen Augenarztes in Leipzig durfte sie ihre Leidenschaft für den Tanz nur als Hobby betreiben. Mit öffentlichen Auftritten schaffte sie es dann überraschend schnell, sowohl das Publikum als auch ihre vergleichsweise toleranten Eltern von ihrer Begabung zu überzeugen. Als Meisterschülerin von Mary Wigman, der Wegbereiterin des Ausdruckstanzes in Deutschland, konnte sie ihre tänzerische Phantasie ausleben. Im Gegensatz zum klassischen Ballett stand das individuelle Ausdrucksvermögen emotionaler Zustände im Mittelpunkt der Darbietungen. Vorgegebene Schrittfolgen und Drill gab es nicht. Tänze ohne Musik oder begleitet nur von Schlaginstrumenten gehörten zum Programm. Fotos aus der Zeit dokumentieren das Neue, Revolutionäre dieser Tanzrichtung: barfuß, in lockeren Tanzanzügen oder weiten Gewändern wurden natürliche Bewegungen als Ausdruck der Persönlichkeit gezeigt.

Die junge Yvonne Georgi… barfuß, in lockerer Kleidung und mit natürlichen Bewegungen die tänzerische Persönlichkeit präsentierend.
(https://www.hannover.de/Museum-August-Kestner/Media/Historisches-Museum-Hannover/Bilder-HMH/Veranstaltungen/Musik-und-Tanz/Yvonne-Georgi)
Yvonne Georgi präsentierte ihr Können zunächst in der Tanzgruppe von Mary Wigman. Im März 1924 begeisterte sie das hannoversche Publikum als Solotänzerin. „Schon nach den ersten Takten wusste man: Aus diesem Wesen sprüht der Funke der Begnadung. Und es wurde ein beglückender Abend. Yvonne Georgi, die Meisterschülerin der Meisterin Mary Wigman, hat technisch alles gelernt, was eine geniale Künstlerin sie lehren konnte. Der „Tanz der Furcht“, der „Tanz des Bösen“ (beides nur von dumpfen Geräuschinstrumenten illustriert), einfach elementar-erschütternd. (…) Yvonne Georgi wird hoffentlich bald an einer der ersten Stellen stehen“, so der Kritiker des Hannnoverschen Anzeigers. Er sollte recht behalten: Im Herbst 1926 kam Yvonne Georgi nach Hannover und brachte ihren „Traumtänzer“ mit. In Harald Kreutzberg, ebenfalls Schüler von Mary Wigman und Solist an der Berliner Staatsoper, fand sie den idealen Tanzpartner. Auf diversen Tanzabenden im Schauspielhaus (heute Opernhaus) und auf drei Amerika-Tourneen feierten sie triumphale Erfolge.

Yvonne Georgi gab die Freiheit als ungebundene Tänzerin bewusst auf, um ihre Idee des modernen Tanzes mit einem festen Ensemble in immer neuen Varianten auf die Bühne zu bringen. „Hartnäckig gilt es, dem modernen Tanz seine Berechtigung zu erkämpfen und ihn zu schützen vor dauernden Angriffen. Seine Existenzmöglichkeiten an denselben Stellen, wo bis jetzt das alte Ballett Alleinherrscher war, z.B. innerhalb der Oper, muss bewiesen werden“, lautete ihr Credo.
Ab 1932 verlagerte sie ihren Lebensmittelpunkt nach Amsterdam und heiratete den Journalisten und Musikwissenschaftler Louis M.G. Arntzenius. In Hannover wandte sie sich als Gastchoreographin verstärkt dem klassisch-akademischen Tanz zu und choreographierte hauptsächlich zu Werken klassischer Komponisten wie Bach, Mozart und Beethoven, bedingt vor allem durch die nationalsozialistisch gelenkten Spielpläne. Zu Massenchoreografien auf NS-Parteitagen oder -Sportfesten hat sie sich im Gegensatz zu Mary Wigman oder Harald Kreutzberg nicht verpflichten lassen.
1954 kehrte Yvonne Georgi nach Hannover zurück. Das Angebot war besonders attraktiv, weil sie neben ihrer Tätigkeit als Ballettmeisterin und Solotänzerin an der Oper die Leitung der Tanzabteilung an der Niedersächsischen Hochschule für Musik und Theater übernehmen konnte. Ein enormes Arbeitspensum ließ sie von morgens bis abends zwischen Lehrtätigkeit und Prüfungen, Ballettproben und Einstudierungen hin und her pendeln. Sie hat von sich selbst einmal ironisch als „Tanzfabrik“ gesprochen. Ihr Haus im Ringelnatzweg in Herrenhausen wurde ein geselliger Treffpunkt für Studierende, Ensemblemitglieder und Künstler, die sie auch kulinarisch mit legendären Dessertvariationen zu verwöhnen wusste.

Yvonne Georgi war ausgesprochen experimentierfreudig bei der Erarbeitung ihrer Choreographien und der Auswahl moderner Musik. Für ihre Tanzabende bevorzugte sie zeitgenössische Komponisten wie Igor Strawinsky oder Paul Hindemith. Legendär wurden Ende der fünfziger Jahre ihre drei Elektronischen Ballette nach Musik von Henk Badings. Die elektronische Musik inspiriere sie dazu, so Yvonne Georgi, „die Grenzen des üblichen Tanzvokabulariums zu überschreiten“.
Das war nicht unumstritten, aber wer wagt, gewinnt: Zahlreiche Ur- und Erstaufführungen in Hannover bereicherten das Tanztheater in der Nachkriegszeit
Ihren letzten großen Erfolg als Choreographin feierte Yvonne Georgi kurz vor ihrem 70. Geburtstag mit „Skorpions“ nach der Musik von Morton Gould. „Die überwältigenden Publikumsreaktionen, ja, Ovationen, die dieser Mischung aus Jazz, Tanz und klassischem Ballett entgegengebracht wurden, mögen Yvonne Georgi bewiesen haben, wie unerschütterlich ihr Ruf geblieben ist“, schrieb die Hannoversche Allgemeine Zeitung.
Mary Wigman war 1886 in Hannover geboren, Yvonne Georgi starb 1975 in Hannover. Die Schülerin als Botschafterin des Ausdruckstanzes in der Geburtsstadt ihrer Lehrerin: Der Kreis schließt sich. In Hannover wurde Tanzgeschichte geschrieben!
Der Tanzpädagogin Mary Wigman wurde 2009 in Hannover der erste FrauenORT gewidmet. Die Initiative frauenORTE Niedersachsen hatte der Landesfrauenrat Niedersachsen e.V. ins Leben gerufen. Bis heute sind 50 historische Frauenpersönlichkeiten an 50 Orten in Niedersachsen sichtbar geworden. Eine Gedenktafel an Mary Wigmans Geburtshaus, Schmiedestraße 18, erinnert an die Pionierin des Ausdruckstanzes.
Zu Ehren von Yvonne Georgi hängt seit diesem Jahr eine Stadttafel an ihrem ehemaligen Wohnhaus, Ringelnatzweg 6, in Hannover-Herrenhausen. Ihr Nachlass befindet sich im Theatermuseum.
Der nächste Stadtspaziergang „Frauen an der Leine“ mit Stationen zu Wigman und Georgi findet am 22. März 2026 statt (Homepage Stattreisen e.V.).
Ein Rundgang „Mary Wigman, Yvonne Georgi und der Ausdruckstanz in Hannover“ unter der Leitung von Monika Sonneck startet 2026 vom Lister Turm. Die aktuellen Termine werden im Programm des Stadtteilzentrums Lister Turm bekannt gegeben.
Uta Ziegan M.A., Historikerin im Stadtarchiv Hannover
Die Kolumne „Hannover historisch“ wird betreut von Prof. Dr. Carl-Hans Hauptmeyer.