
Abb. 1 Der Ausstellungssaal als Weiheraum TET-Fabrik und TET-Stadt im Modell. Kunstverein Hannover 1917. Unternehmensarchiv (UA) Bahlsen
Im Februar 1917 machte der Hannoversche Kunstverein mit einer besonderen Ausstellung von sich reden. Zu sehen war das Architekturmodell eines neuen Quartiers von eindrucksvoller Größe, das man weihevoll zwischen Fotos, Hoetger-Skulpturen und Pflanzen in Szene gesetzt hatte. Gezeigt wurde ein expressionistischer Kosmos der Überwältigung, der die Welt der Arbeit, der Kunst und des sozialen Lebens umschloss. Die bürgerliche Stadtgesellschaft stand Kopf.

Abb. 2 „Das ist mein Mann!!!! Der Bauherr und Kunstmäzen Hermann Bahlsen, wie der glückliche Künstler ihn sah. Karikatur von der Hand Bernhard Hoetgers, um 1916/17. UA Bahlsen
Denn der Expressionismus war auch in Hannover die Sache einer Minderheit. Das kunstsinnige Publikum und die Künstler waren tief gespalten zwischen vereinzelter Zustimmung zu dieser „neuen Romantik“ und mehrheitlich brüsker Ablehnung. Letzteren erschien noch immer die allzu enge Verbindung von Kunst und Kommerz anrüchig. Und die Bauingenieure? Sie mokierten sich besonders polemisch über die fachfremde Anmaßung der Künstler, Baumeister spielen zu wollen.
Die Keksfabrik Bahlsen hatte bereits 1903 die stilisierte ägyptische Hieroglyphe TET (gesprochen „dschet“) in der roten achteckigen Kartusche als neues Bild- und Textzeichen eingefügt. Es bedeutete soviel wie „ewig“, „dauernd“. Darum erschien es dem Fabrikanten von Dauerbackwaren besonders passend. Nun sollten eine TET-Fabrik und eine TET-Stadt errichtet werden. Hermann Bahlsen, der Bauherr in spe und Mäzen, Bernhard Hoetger, sein neuer Hauskünstler und selbsternannte Architekt des TET-Projekts und Martel Schwichtenberg, die Malerin und Gestalterin des Katalogs standen im Mittelpunkt der Kritik, die von allen Seiten kam. Bahlsens provozierte, und der Skandal war da.
Die aktuelle Erfahrung des Ersten Weltkrieges hatte den Unternehmer und Kunstsammler zum Expressionismus geführt. Sein Credo lautete fortan: „Wir müssen strenger werden“. Der neue Verwaltungs- und Fabrikbau – Nachfolger des klassizistischen Fabrikgebäudes von 1893 , den Bahlsen erst 1911 im Stil der Reformarchitektur hatte errichten lassen, erschien ihm nun wie eine trügerische Idylle.
Die neue TET-Fabrik und TET-Stadt hätten nach Kriegsende zum Kern der künftigen Markenkommunikation für Kunden und Konsumenten, zum Identifikationssymbol des Unternehmens nach innen und zu einem neuen touristischen Ziel Hannovers gleichermaßen werden sollen. Doch das Vorhaben wurde nie realisiert. In der Revolution erschien es als kostspieliges Prestigeprojekt des freien Unternehmertums diskreditiert und nicht finanzierbar. Der frühe Tod Hermann Bahlsens im November 1919 setzte allen weiteren Bauplänen zudem ein unwiderrufliches Ende. Und Bernhard Hoetger zog weiter und fand in Ludwig Roselius in Bremen einen neuen Mäzen und Bauherrn für eine Architekturphantasie im Stil des nordischen Expressionismus: die Böttcherstraße.

Abb. 3 Bahlsens Messestand auf der ANUGA, Hannover 1921. UA Bahlsen
Und was blieb von der Utopie im Zeichen des TET übrig? Der Reformbau an der Podbielskistraße wurde noch zu Lebzeiten des Gründers zur „neuen TET-Fabrik“ erklärt. Dort zog der Expressionismus als „Kunst im Bau“ in Gestalt von Fresken und Wandbildern Gemälden und Skulpturen ein. Für die 1921 in Hannover stattfindende „Allgemeine Nahrungs- und Genussmittel-Ausstellung“ (ANUGA), ließ Bahlsen einen spektakulären Messebau errichten, der von der lokalen Presse unisono ignoriert und vom Ehrengast der Ausstellung Paul von Hindenburg gemieden wurde. Im exotisch ausgemalten Fabrikverkauf wurde das Modell der TET-Säule aufgestellt. Und die letzte Fassung der TET-Göttin, eine Skulptur, die Hoetger verspätet nachreichte, schmückte seit Januar 1921 den Haupteingang des Verwaltungsbaus – bis sie 1938 vorsorglich von dort entfernt wurde. Der Expressionismus galt nun als „entartete Kunst“. Erst im Jahr Mai 2018 sollte die TET-Göttin an ihren Platz zurückkehren.

Abb. 4 Die TET-Göttin, 1921. Künstlerischer Entwurf: Bernhard Hoetger, autorisierter Bildhauer: Wilhelm Kröger. Foto: Karin Hartewig
Dr. Karin Hartewig
Dr. phil. Karin Hartewig (Jg. 1959) lebt in Bovenden in der Nähe von Göttingen. Sie ist freiberufliche Historikerin. Zuletzt erschienen zwei Unternehmensgeschichten: „Mauxion, Rotstern und Stollwerck. Die bewegte Geschichte der Schokoladenfabrik in Saalfeld (2021)“ und „Der Stil des Hauses. Keks, Kunst und Kultur bei Bahlsen (2024)“
Am Donnerstag, 27.11.2025, 18:30 Uhr, wird die Autorin beim Historischen Verein für Niedersachsen einen Vortrag zum Thema „Form follows Spirit. Architektur als Teil der Marke Bahlsen“ halten.
Die Kolumne „Hannover historisch“ wird betreut von Prof. Dr. Carl-Hans Hauptmeyer.