
Hannovers „maritime“ Bedeutung ist seit 1916 eng mit der Schifffahrt auf dem Mittellandkanal verbunden. Doch den Status einer Hafenstadt erlangte man schon viel früher. Seit dem Mittelalter verkehrten, mit Unterbrechungen, Binnenschiffe auf der Leine und stellten über Aller und Weser eine Verbindung mit Bremen her. In der Neuzeit war dabei der Einsatz eines kleinen Verbandes aus einem „Bock“ mit einem angehängten „Bullen“ üblich. Mast und Segel waren vorhanden, doch – das enge und windungsreiche, zudem oft sehr flache Fahrwasser verlangte es – „Bock“ und „Bulle“ wurden gegen den Strom getreidelt, also vom Ufer aus von Zugtieren oder bisweilen Menschen in Schlepp genommen. So beförderte man unter anderem Tuche, Leder- und Milchprodukte sowie Fisch flussaufwärts und Getreide und Getreideprodukte sowie Töpferwaren gen Bremen.
Der Dreißigjährige Krieg (1618–1648) markiert dann eine tiefe Zäsur in der Geschichte der Leineschifffahrt: Sie wurde für mehr als ein Jahrhundert eingestellt. Die Wiederaufnahme gestaltete sich schwierig. Schäden an den Treidelpfaden mussten ebenso beseitigt werden wie Hindernisse im Flussbett und an den Ufern. In Neustadt am Rübenberge und flussabwärts von Hannover waren Schleusen anzulegen. Dort, zwischen Herrenhausen und Limmer, war inzwischen ein Wehr – zeitgenössisch auch Stauschleuse genannt – errichtet worden. Es diente dem Stau der Leine oberhalb eines am Wehr gelegenen Pumpenhauses, der „Kunst“. Diese nutzte die Fallhöhe des Wehres, um mittels Wasserkraft die Speicherbecken und Fontänen des Großen Gartens mit Druckwasser zu versorgen.

Der Plan, unterhalb der Stauschleuse ein Packhaus mit Anlegestelle zu errichten wurde verworfen – zu weit die Entfernung von der Stadt, zu groß die Überschwemmungsgefahr. Also mussten die Schiffe das Wehr passieren. Zwei Versuche, eine Schleuse zu integrieren, erwiesen sich als nicht praktikabel. Die Konstruktionen aus den Jahren 1743 sowie 1766/67 waren anfällig und die Bedürfnisse von Energiegewinnung und Schiffsverkehr durch ein gemeinsames Bauwerk nicht in Einklang zu bringen. Daraufhin ließ das kurfürstliche Hofbauamt 1768/69 eine Kammerschleuse errichten, die, als separate Anlage, bis heute etwas seitlich zwischen Wehr und Pumpenhaus liegt. Sie erlaubte eine sichere Fahrt zu den Umschlagplätzen im Bereich Glocksee / Ihmeunterlauf und „beförderte“ den Abzugskanal der „Kunst“ zur Schifffahrtsstraße.
Bis Mitte des 19. Jahrhunderts leisteten Leineschiffe einen wichtigen Beitrag zum Warenverkehr. Im Jahr 1834 beispielsweise transportierten sie zwischen Bremen und Hannover in Berg- und Talfahrt zusammen fast 8.200 Tonnen Ladung. Doch mit dem Ausbau des Eisenbahnnetzes kam der Niedergang der „alten“ Leineschifffahrt.

Doch wachsende Verkehrsleistungen und neue Impulse für die Binnenschifffahrt durch Flusskanalisierungen und Kanalbauten ließen Ende des 19. Jahrhunderts Hoffnungen aufkeimen, auch die Leineschifffahrt könne wieder aufleben. Die dafür notwendige Korrektion des Flusslaufs habe, so hieß es, vielfältige positive Folgen, etwa verbesserten Hochwasserschutz, Elektrizitätserzeugung an zu erbauenden Staustufen, den möglichen Bau von Bewässerungsanlagen für die Landwirtschaft und eine weniger schädliche Entsorgung der Abwässer durch ein ständig gut gefülltes Leinebett – also durch Verdünnung. 1880 und 1905 fanden zwei Werbe- und Demonstrationsfahrten mit Dampfschiffen statt.
Den ersten Törn machte, mit zwei fast leeren Leichtern im Schlepp, die „Sylt“. Über die zweite Fahrt sind wir durch einen Bericht des „Vereins für die Leineschiffahrt zu Hannover“ gut informiert. Eingesetzt wurde die „Nienburg“. Am 20. Mai 1905 verließ das Dampfschiff mit einem Kahn – beladen mit 30 Tonnen Reismehl – im Schlepp morgens Bremen, erreichte gegen 14 Uhr die Aller und machte abends in Rethem fest. Früh am nächsten Morgen ging es weiter, sodass abends auf der Leine Neustadt erreicht wurde, wo nur mit größter Mühe und Treidelhilfe Stromschnellen überwunden werden konnten. Am 22. Mai legte der Schiffszug morgens wieder ab, gelangte abends zur Herrenhäuser Schleuse, passierte diese aber erst am Folgetag. Die Bergfahrt nach Hannover dauerte, die Aufenthalte nicht inbegriffen, fast 40 Stunden, die anschließende Talfahrt immerhin gut 20 – einschließlich eines Auflaufens bei Niedernstöcken.

Aber die Hoffnungen auf eine Leinekorrektion und eine Renaissance der Schifffahrt erfüllten sich nicht. Dazu trug im Wesentlichen der Mittellandkanal – samt Stichkanal nach Linden – bei, viel leistungsfähiger als der Unterlauf der Leine und via Minden und die Weser auch Bremen anbindend. Doch im Wortsinne „ein Stück weit“ profitierten schließlich auch Leine und Ihme: Über den Abstiegskanal mit dem Stichkanal verbunden, sind beide oberhalb des modernen Nachfolgers der Stauschleuse bis hin zum Schnellen Graben noch heute Schifffahrtsstraßen.
Martin Stöber, Historiker und Geograph, ist Geschäftsführer des Niedersächsischen Instituts für Historische Regionalforschung e.V., Hannover.
Am Freitag, 13. Juni 2025, führt die Naturhistorische Gesellschaft eine von Dr. Olaf Grohmann geleitete Exkursion zur Wasserkunst am Großen Garten durch, siehe: https://www.n-g-h.org/veranstaltungen.html.
Die Kolumne „Hannover historisch“ wird betreut von Prof. Dr. Carl-Hans Hauptmeyer.