Komponist, Diplomat und Bischof von internationalem Rang
In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts entwickelte sich die Residenzstadt Hannover unter den Herzögen Johann Friedrich und Ernst August (seit 1692 Kurfürst) zu einem kulturellen Zentrum Deutschlands. Dies fand u.a. in der Berufung des Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz, der Anlage des Großen Gartens in Herrenhausen und der Einrichtung eines Opernhauses deutlichen Ausdruck. Die das hannoversche Musikleben in den 1690er Jahren bestimmende Persönlichkeit und eine der interessantesten Erscheinungen am hannoverschen Hof war Agostino Steffani. Unter ihm wurde Hannover für einige Jahre „eine musikalische Werkstatt Europas an der Schwelle und zur Gestaltung der spätbarocken Tonkunst“ (Lajos Rovatkay).
Steffani war am 25. Juli 1654 in Castelfranco Veneto in der Nähe Paduas als Sohn einer bürgerlichen Familie geboren worden. Der Münchener Höfling Graf Tattenbach lernte ihn 1667 als Sängerknaben von San Marco in Venedig kennen und nahm ihn wegen seiner musikalischen Begabung mit nach München, wo er auf Kosten des Kurfürsten Maximilian Emanuel eine vorzügliche Ausbildung erhielt. Bereits 1675 wurde Steffani zum Hoforganisten und 1681 zum kurfürstlichen Kammermusikdirektor ernannt; im Jahr zuvor hatte er die Priesterweihe empfangen. Aufgrund zahlreicher musikalischer Kompositionen, Orchestersuiten, Kammerduette und Opern, genoss Steffani bald einen europäischen Ruf und zählt heute noch zu den bedeutendsten italienischen Komponisten seiner Zeit.
1688 folgte er der Einladung Herzog Ernst Augusts nach Hannover, wo er das Amt des Hofkapellmeisters antrat. Mit ihm gewann der Herzog nicht nur einen Musiker „mit höchstem künstlerischen Potential, sondern auch eine Persönlichkeit mit außergewöhnlicher Intelligenz, Vielseitigkeit und weitem Bildungsradius“ (Lajos Rovatkay). Während der hannoverschen Zeit komponierte Steffani in fast jährlichem Rhythmus acht Opern, die nach venezianischem Vorbild im Rahmen des Karnevals aufgeführt wurden. Neben seiner musikalischen Arbeit wurde er mit diplomatischen Aufgaben be-traut. Von 1695 bis 1702 war er hannoverscher Gesandter am Hof Maximilian Emanuels, der als Statthalter der Spanischen Niederlande bis 1701 in Brüssel und dann wieder in München residierte. Eine Hauptaufgabe Steffanis bestand darin, die Schwierigkeiten beheben zu helfen, die von Seiten der katholischen Kurfürsten der Einführung Hannovers in das Kurkolleg bereitet wurden. Steffani vereinte in sich alle wichtigen Eigenschaften eines Diplomaten, wie Anpassungsfähigkeit, gewandtes Auftreten, Liebenswürdigkeit und Erfassen der politischen Situation; und er war katholischer Priester. Mit seiner diplomatischen Tätigkeit war man in Hannover durch-aus zufrieden.
1703 trat Steffani in den Dienst des in Düsseldorf residierenden Kurfür-sten Johann Wilhelm von Pfalz-Neuburg. Da die Bemühungen des Kurfürsten, Steffani zu seinem Hofbischof zu bestellen, am Widerstand der römischen Kurie scheiterten, wurden Verhandlungen über seine Ernennung zum Apostolischen Vikar eingeleitet. Papst Clemens XI. ernannte Steffani am 13. September 1706 zum Titularbischof von Spiga. 1709 sodann wurde Steffani Leiter des „Vikariates von Ober- und Niedersachsen“ und damit Bischof für die geringe Anzahl von Katholiken vor allem in den Territorien des Kurfürsten von Brandenburg und der Herzöge von Braunschweig-Lüneburg. Er wählte Hannover als Residenz. Trotz seiner guten Beziehungen zum Hof war es ihm nicht möglich, 1713 ein kurfürstliches Dekret abzuwenden, das die rechtliche Lage der katholischen Einwohner umfassend regelte, den Freiheitsraum der katholischen Kirche in Hannover erheblich einengte und empfindliche Eingriffe in die freie Religionsausübung vor-nahm. Denn, nachdem die Kursache 1710 ihre endgültige Erledigung gefunden hatte, brauchte die hannoversche Regierung keine Rücksicht mehr auf Widerstand der katholischen Reichsstände zu nehmen.
Steffanis gutem Verhältnis zum Kurfürsten Georg Ludwig (seit 1714 auch König von Großbritannien) und zur Regierung war es zu verdanken, dass eine eidliche Verpflichtung der Geistlichen auf diese Verordnung abgewendet werden konnte. Dies hätte zum Abzug der Geistlichen und möglicherweise zum Niedergang der katholischen Gemeinde geführt. Ein weiteres Verdienst Steffanis lag darin, dass der im Kurkontrakt von 1692 vorgesehene, von Ernst August und Georg Ludwig stets verzögerte Bau ei-ner katholischen Kirche in Hannover vorangetrieben wurde. 1718 konnte er die nach den Plänen des Italieners Tommaso Giusti erbaute Clemenskirche als erste katholische Kirche in Hannover nach der Reformation konsekrieren. Steffani starb auf der Fahrt von Hannover nach Italien am 12. Februar 1728 in Frankfurt/Main und wurde im dortigen Dom St. Bartholomäus beigesetzt. Um sein Andenken im heutigen Hannover macht sich in besonderer Weise das von Professor Lajos Rovatkay eingerichtete „Forum Agosti-no Steffani“ (www.forum-agostino-steffani.de) verdient.
PROFESSOR DR. HANS-GEORG ASCHOFF
lehrte Neuere Geschichte und Kirchengeschichte an der Leibniz Universität Hannover und ist mit einer großen Zahl von Publikationen zu diesen Gebieten hervorgetreten.
Der Text erschien bereits als Artikel in der Reihe „hannover historisch“ im hannoverschen Magazin „STADTKIND“ in Ausgabe 04/2015, S. 53. Die Wiederveröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des STADTKIND-Magazins.
Die monatliche Kolumne „hannoverhistorisch“ wird betreut von Prof. Dr. Carl-Hans Hauptmeyer.