Es brauchte riesige 49 Kisten – von denen eine allein 100 Gemälde enthielt – mit einem Gesamtgewicht von 197 Zentnern und 67 Pfund, um eine komplette Sammlung wertvoller Kunst von Rom nach Hannover zu verfrachten. Das geschah 1853, also vor über 160 Jahren, als August Kestner im März verstorben war und sein Neffe Hermann die Aufgabe hatte, die in Rom zusammengesammelten Schätze seines Onkels in deren gemeinsame Heimatstadt Hannover zu bringen.
Zuerst war in Rom natürlich ganz viel Papierkram zu erledigen,aber die Berühmtheit des Hannoveraners August Kestner vor Ort half, die Sache bei allen dortigen Behörden schnell zu erledigen. Die Kisten kamen in der italienischen Hafenstadt Livorno (an der Westküste Italiens, bei Pisa) auf ein Schiff und segelten bis Harburg bei Hamburg. Von dort aus ging es dann weiter mit der Bahn nach Hannover. Aber wohin mit den Kunstwerken? Die vielen Gemälde, Drucke, Bücher, aber vor allem die wertvollen und leicht zerbrechlichen archäologischen Objekte der Griechen, Römer, Etrusker und Ägypter sowie die kleinen Münzen und Medaillen mussten irgendwo sicher aufbewahrt werden. Da war es ein Glück, dass die Familie Kestner in Hannover nicht nur ein, sondern gleich zwei Häuser besaß: eines zum Wohnen etwas außerhalb der Stadt und dann mittendrin, in der Leinstraße Nr. 11, ein Stadthaus. Hierher kam die Sammlung und konnte fortan von Interessierten betrachtet und bestaunt werden. Aber August Kestner wollte damals nicht, dass die Sammlung in einem Wohnhaus verbleibt, er wollte mehr. Er hatte sich gewünscht, dass sie vielen Menschen Freude bereitet und von vielen Bürgern seiner geliebten Heimatstadt gesehen und bewundert, von Experten studiert und von Schulklassen als Anschauungsmaterial betrachtet wird. Das alles geht nur in einem Museum. Und als August Kestner 1851 sein Testament schrieb, brachte er darin genau diesen Wunsch zu Papier: Ein Museum für seine Sammlung. Er hoffte, dass die Stadt Hannover dazu bereit sei und stellte im Gegenzug seine Sammlung als Geschenk an die Stadt in Aussicht. All das sollte sein Neffe Hermann organisieren. Es dauerte jedoch noch 31 Jahre bis endlich ein Schenkungsvertrag zwischen ihm und der Stadt zustande kam. Am 4. April 1884, also vor genau 130 Jahren, war es dann soweit. Der Vertrag wurde unterschrieben und fortan gehörte die Sammlung der Stadt Hannover. Hermann Kestner stiftete dazu noch 100.000 Mark für den Bau des Museums – bei Gesamtkosten von 405.350 Mark immerhin ein Viertel der Bausumme. Nach einer kurzen Bauzeit von nur zwei Jahren war das Museum am Friedrichswall 1888 fertig. Heute kaum noch vorstellbar: Es war damals das einzige große Gebäude im Süden der Innenstadt, denn das imposante Rathaus wurde erst 1913 eingeweiht. Nach dem Einrichten des Baus wurde das neue “Kestner-Museum” am 9. und 10. November 1889, also vor genau 125 Jahren feierlich eröffnet. Hannover darf stolz sein auf dieses erste von der Stadt betriebene Museum; es ist weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Während der letzten 125 Jahre kamen bedeutende Kunstwerke hinzu. Viele Bürger schenkten oder verkauften ihre Sammlungen ihrer Stadt. So wurden bereits zwei Jahre vor der Eröffnung 7.500 Objekte aus der Sammlung des Hannoverschen Senators und Druckereibesitzers Friedrich Culemann für das noch nicht eröffnete Museum von der Stadt angekauft. 1900 schenkte der Zeitungsbesitzer Hermann Schlüter seine Gemäldesammlung dem Museum. Und vor allem Münzen wurden dem Museum häufig geschenkt, so dass die Münzsammlung heute 120.000 Stücke umfasst und somit die größte ihrer Art in Norddeutschland ist. 1935 wurden dazu über 1.500 altägyptische Stücke aus der Sammlung des berühmten Ägyptologie-Professors Friedrich Wilhelm Freiherr von Bissing angekauft, wodurch die ägyptische Sammlung zu Weltruhm kam. Kurz danach folgte leider der Zweite Weltkrieg und das Museum musste nicht nur erhebliche Verluste seiner Objekte, sondern auch die Zerstörung eines Museumsteils erleiden. Seit 1961 ist es umgebaut und zum “Museum der 4.785 Fenster” geworden. Obwohl die Gemälde inzwischen an die Galerie im Landesmuseum ausgeliehen sind, die damit eine hochkarätige Italien-Abteilung zeigen kann, werden aktuell immerhin über 200.000 bedeutende Stücke im städtischen Museum aufbewahrt, von denen der Besucher aus Platzmangel leider nur eine kleine Auswahl in vier Sammlungsbereichen bestaunen kann: Ägyptische Sammlung, Antike Kulturen (Griechen, Römer, Etrusker u.s.w.), Münzen und Medaillen von der Antike bis zur Gegenwart und Angewandte Kunst vom Mittelalter bis heute. Am 28. November 2007 wäre August Kestner 230 Jahre alt geworden. Und aus unendlicher Dankbarkeit für seine Schenkung an die Stadt Hannover, an ihre Bürger und an ihre Gäste aus aller Welt wurde das Museum in “Museum August Kestner” umbenannt – denn ohne August gäbe es kein weltberühmtes Museum der Stadt Hannover.
Christian E. Loeben
DR. CHRISTIAN E. LOEBEN
Ist seit 2004 der Ägyptologe am Museum August Kestner und betreut dort nicht nur die ägyptische, sondern auch die islamische Sammlung des Museums, mit dessen Geschichte er sich intensiv beschäftigt hat. Jedes Jahr unterrichtet er Ägyptologie und Museumskunde an der Universität in Göttingen und im kommenden Jahr auch in Basel (Schweiz).
Der Text erschien bereits als Artikel in der Reihe “hannover historisch” im hannoverschen Magazin “STADTKIND” in Ausgabe 11/2014, S. 46. Die Wiederveröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des STADTKIND-Magazins.